Konzertbericht vom Klangvokalfestival in der Probsteikirche Dortmund
Am vergangenen Donnerstagabend fand im Rahmen das Klangvokalfestivals in der Dortmunder Probsteikirche ein Konzert unter dem Titel „Wege zu Bach“ statt, dessen Schwerpunkt Motetten von J.S. Bach und Komponisten mit einem Bezug zur venezianischen Musikszene bildeten.

Propsteikirche in Dortmund
Der Grund, warum ich trotz sehr stressiger Woche abends noch nach Dortmund fuhr, um dabei zu sein, war eine Sternstunde im November letzten Jahres, als das hier auch aufführende Ensemble Pygmalion die Essener Philharmonie besuchte und neben anderen Bach`schen Motetten und Kantaten Werken die eher selten gehörte Kantate BWV 190 „Singet dem Herrn ein neues Lied“. Die Balance aus schwunghafter Spritzigkeit, Präzision und Strahlkraft auf der einen, aber auch den für die Bach´schen Werke so charakteristischen Tiefgang auf der anderen Seite, mit der dieses noch junge Ensemble unter seinem künstlerischen Leiter Raphael Pichon die Werke auf die Bühne brannte, ließ mich alten Gardiner-Fan schwer beeindruckt zurück.

Countenor und Dirigent Raphaël Pichon (*1984) gründete 2005 das Ensemble Pygmalion.
Und so organisierte ich mir noch eines der letzten verfügbaren Tickets im vorderen Teil der Probsteikirche und fand mich in Reihe 2 wieder, was doppelt interessant war: Einerseits stand Pichon etwa in meiner Höhe im Mittelgang, so dass ich seine Mimik und Gestik beim Leiten des Konzerts exzellent sehen konnte. Andererseits war die Erfahrung neu, den Klang der Stimmen zu hören, kurz bevor er sich wirklich ausbreitet, was so in etwa ab Reihe 6 der Fall gewesen sein dürfte.
Das Programm bestand nun also aus:
Hans Leo Hassler (1564 – 1612)
„Cantate Domino“ zu zwölf Stimmen
Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)
„Lobet den Herrn“ BWV 230
Vincenzo Bertulosi (ca. 1550 – 1608)
„Osculetor meo“ zu sieben Stimmen
Johann Sebastian Bach
„Komm, Jesu komm“ zu acht Stimmen BWV 229
„Jesu meine Freude“ zu fünf Stimmen BWV 227
Nach der Pause:
Johann Sebastian Bach
„Komm, o Tod du Schlafes Bruder“ BWV 56-5
(Die dann an dieser Stelle angekündigte Arie „Vergiss mein nicht, mein allerliebster Gott“ entfiel)
„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ zu acht Stimmen BWV sup.159
(Die an dieser Stelle angekündigte Wiederholung des Chorals „Komm, o Tod..“ entfiel ebenfalls)
„Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ zu acht Stimmen BWV 226
Giovanni Gabrieli (1557 – 1612)
„Jubilate deo“ zu acht Stimmen
Johann Sebastian Bach
„Singet dem Herrn ein neues Lied“ zu acht Stimmen BWV 225
Die Auswahl der Werke erfolgte aufgrund der Tatsache, dass lange, bevor Bach das Licht der Welt erblickte, Venedig als Innovationsquelle der Musik, als „nuova musica“ galt. Viele namhafte Kapellmeister wie Adrian Willaert, die Corellis und natürlich Claudio Monteverdi wirkten hier und zogen auch deutsche Komponisten in ihren Bann, die den weiten Weg nicht scheuten, um sich vor Ort inspirieren zu lassen. Dabei galt speziell die Basilika di San Marco stets als akustische Experimentierbühne. Hier wurden Echoeffekte genutzt und die vielen Winkel, Emporen und Nischen für die Mehrchörigkeit genutzt.
Die Probsteikirche Dortmund ist sicher kein so bekannter Ort wie der venezianische Markusdom, die Akustik jedoch ist fantastisch und so wurde man in Klangwelten entführt, die zumindest mich süchtig machen. Pichon beherrscht es, seine insgesamt um die 30 Sänger und das kleine Continuo-Ensemble (zwei Orgeln, ein Cembalo, ein Cello, ein Bass) exakt, aber lebendig ihren Linien folgend durcheinanderwirbeln zu lassen und dabei immer wieder unerwartete Akzente zu setzen. Immer wieder hat man bei den schnellen Passagen das Gefühl, die Sänger würden die Worte wie Lichtblitze durch die gewaltige Akustik der Kirche schicken. In den Chorälen dann strahlt das Ensemble eine warme, volle, homogene Farbe aus.
Alle Musiker scheinen, als hätten sie die Werke nicht nur als interpretatorische Herausforderung verstanden, sondern auch mit einem gewissen sportlichen Ehrgeiz angefasst, Text und Noten plastisch, aber niemals trocken zu singen. Dazu gelingt ihnen eine frische, schwungvolle Lebendigkeit und ein oft hohes, aber nicht übertriebenes Tempo und eine ausgezeichnete Präzision. Hier wird keine einzelne Note verschludert. Dabei hat Pichon meiner Meinung nach etwas, was ich bisher in dieser Ausprägung nur von Gardiner kenne: Den offensichtlich starken Willen und das Können, dem Werk in all seinen Facetten auf sehr hohem Niveau gerecht zu werden und niemals nachzulassen, noch etwas mehr Bach aus den Noten herauszukitzeln und bei all der Detailversessenheit aber nie den Blick für die Schönheit des Großen und Ganzen zu vernachlässigen.
Die volle Kirche und der schon zur Pause ausgesprochen kräftige Applaus unterstrich, dass im Ruhrpott noch Luft für mehr hochwertige Barockmusik ist. Und er unterstrich, dass selbst in Zeiten der scheinbar immer weitergehenden Niveauverflachung herausragende Talente ihren Platz finden.
Am Mittwoch folgt dann Gardiner in Königslutter. Nach meinen Erfahrungen im dortigen Kaiserdom bei der Aufführung der Matthäsupassion 2005 und den Oster- und Himmelfahrtsoratorien 2013 sind die Erwartungen höchstens gemischt. Die Musik wird wie immer hochwertig sein, aber der Rahmen ist mir bei den genannten Gelegenheiten als sehr unwürdig aufgefallen und hat bisher Enttäuschung und Ärger zurückgelassen. Wieder soll diesmal nun also die Bühne quer mitten im Kirchenschiff stehen und damit dieses Weltklasseensemble vor die Wand musizieren, was der Akustik nicht sonderlich zuträglich ist.

Vorarbeiten für das Konzert am 15.06.2016 mit Sir John Eliot Gardiner im Kaiserdom Königslutter
Selbst die Höchstpreistickets geben nur Blick auf die Rücken maximal der Hälfte der Aufführenden frei. Dazu Publikum (verdiente Mitarbeiter von Sponsoren, die aber mit der Musik nichts anfangen können?) in Badelatschen, wichtigtuerischem Husten (immer ein wenig lauter als nötig), gelangweiltem Rumgehampel auf den knarzenden Stühlen und ein zweifellos sehr verdienter Veranstalter, der jedoch dank seiner augenscheinlich auf Aufmerksamkeit heischende Gesten nicht zwingend zu dem Rahmen beiträgt, den diese Ensembles und vor allem das Werk verdient hätten. Ist es nicht das schönste, wenn man dann am Ende positiv überrascht wird und das Konzert in vollen Zügen genießen kann?
Herzliche Grüße
Martin
Danke lieber Martin für deine wunderbare Rezession über das
Klangvokalfestival in der Probsteikirche aus Dortmund. Das Ruhrgebiet
besitzt viele Bach-Liebhaber, was sich in den Besucherzahlen ausdrückt.
NRW ist ein Bundesland, wo die Kultur noch gepflegt wird und die meisten
Opernhäuser besitzt. Der junge Französische Counter und Dirigent Raphaël
Pichon – mit seinem Ensemble Pygmalion – sorgt immer für Schlagzeilen. Seine
Aufführungsform setzt die Fachwelt in Bewunderung. Es ist gut, dass neue
Bach-Interpreten die Bühne betreten und das geistige Erbe von Bach bewahren.
Die alte Generation der Bach-Interpreten treten von der Bühne ab und es wäre fatal,
wenn keine jungen Nachwuchs-Interpreten das Erbe übernehmen würden. Gott sei Dank,
gibt es kein Vakuum und können uns über die neue Generation freuen, die für eine frische
und inspizierende Aufführungsform sorgen.
Unlängst hat am 2. Tag bei dem Bachfest 2016 in Leipzig ein englisches Ensemble mit den Bach-Kantaten in der Nikolaikirche für Furore gesorgt. Die Besucher waren entzückt und total aus dem Häuschen. Ich spreche vom Englischen Ensemble „Solomon’s Knot baroque collective“ unter der Leitung von dem Gardiner-Bassisten „Jonathan Sells“, der am 16.6. in der Thomaskirche in der Matthäus Passion als Gesangs-Solist mitwirken wird. Gut, dass es in Deutschland ebenfalls neuen Kräfte gibt, die alte Zäpfe abschneiden und für die Barocke Form der Wiedergabe sich einsetzen wie unlängst Hans-Christoph Rademann bei der Bachakademie in Stuttgart.
Thomas Hengelbrock, seit 2011 Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters sorgt ebenfalls für einen frischen Wind und begeistert mit seiner Aufführungsform die Fachwelt. Das Bach-Kantaten-Projekt von Kay Johannsen in Stuttgart ist großartig und begeistert mich mit seinem kleinen Gesangs-Ensemble und mit einer Historischen Aufführungspraxis.
Meine gemischten Gefühle über Gardiner teile ich mit dir. Die Matthäus Passion im März 2016 in Barcelona im Palau de la Musica hatte Höhen und viele Tiefen. Einige wunderbare Arien landeten total im Niemannsland und waren für mich eine riesige Enttäuschung. Mark Padmore als Evangelist hat mich vollends überzeugen können. Der Monteverdi Choir sang die Choräle ohne Partitur und waren in der Aufführung das Highlight schlecht hin. Einige junge Nachwuchs-Solisten fehlt es an Erfahrung und Stimmvolumen, weil sie kaum zu hören waren. Es ist erfreulich, dass Gardiner junge Kräfte fördert, aber International darf er mit ihnen nicht auftreten.
Ich wünsche dir und Barbara für Königslutter eine gelungene Aufführung der Matthäus Passion mit James Gilchrist als Evangelist. Ich würde mich freuen, wenn Du oder Barbara mir einen kleinen Bericht darüber zusenden würdest.
Herzliche Grüße
Volker
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Hallo Martin & Volker,
ich danke euch beiden für die inhaltsreichen und wunderbaren Beiträge, denen ich uneingeschränkt zustimme. Bach lebt, dass ist die Erkenntnis für alle Zeit und wir erfreuen
uns über neue Interpreten, die das Podium betreten und das Bach-Erbe würdig weiter verbreiten.
Ich kann Volker bestätigen, dass das Ruhrgebiet eine großartige Kultur besitzt und Bach dort
großartig mit Konzerten vertreten ist.
Meinen Dank möchte ich an diesen Blog weiter geben, der uns Bach so nahe bringt und uns am Wochenende mit den Bach-Kantaten beglückt.
Herzliche und liebe Grüße
Wolfgang S.
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Kaiserdom in Königslutter..!!
Rehearsals were sounding great last night for our #MattPassion16: performing in the beautiful Kaiserdom in Königslutter. Photo taken by our new Tours & Concerts Manager Emily Parker!
Monteverdi Choir & Orchestras Foto.
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