Rudolf Lutz, Eigen-Komposition – Luther-Kantate „Erhalt uns, Herr, bei Deinem Wort“ Uraufführung am 6.5.2017 auf der Wartburg-Eisenach!
Rudolf Lutz (*1951)

Wartburgsaal – Konzert der J.S. Bachstiftung! Uraufführung Luther-Kantate „Erhalt uns, Herr, bei Deinem Wort“
384. Wartburgkonzert
Festkonzert anlässlich der
Eröffnung der nationalen Sonderausstellung auf der Wartburg ›Luther und die Deutschen‹
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Dichtung und Wahrheit rund um die Luther-Kantate!
Hätte Bach eine Kantate auf ein rundes Reformations- jubiläum komponiert, und könnte das Endprodukt Ähnlichkeiten mit unserer ›Luther-Kantate‹ gehabt haben?
Nun, der erste Teil der Frage ist leicht zu beantworten: Selbstverständlich hätte er! Denn Bach erlebte als Hoforganist des ausgesprochen frommen Lutheraners Herzog Wilhelm Ernst am 31. Oktober 1717 in Weimar die prächtig zelebrierte Zweihundertjahrfeier von Luthers Thesenanschlag. Und gewiss hätte er zur Komponierfeder gegriffen, als es damals galt, die vom örtlichen Hofpoeten Salomo Franck gelieferten Texte der drei Festkantaten – für den Geburtstag des Herzogs am 30 Oktober, für die Zentenarfeier des Thesenanschlags am 31. Oktober und die Nach- feier am 1. November – in Musik zu setzen. Bach war schließlich seit 1714 verpflichtet gewesen, »monatlich neue Stücke«, also Kantaten, für die Hofkapelle zu komponieren; und die beiden Kapell- meister Vater und Sohn Drese konnten beim Wegkomponieren der ansehnlichen Textmenge, die Franck geliefert hatte, jede Hilfe gebrauchen.
Der eifrig gebrauchte Konjunktiv kommt jedoch nicht von ungefähr. Zwar sind die drei damals gedruckten Kantatenlibretti erhaltenen. Jedoch tauchen sie weder in Bachs Œuvre auf, noch lassen sich Parodiebeziehungen zu dessen erhaltenen Werken herstellen. Und dies ist womöglich kein überlieferungsbedingter Umstand, sondern war selbstverschuldet. Warum? Bald nachdem Bach im September 1717 in Dresden beim legendären Tastenduell mit dem Pariser Hoforganisten Louis Marchand den Sieg davon getragen hatte und nahezu zeitgleich vom Köthener Fürsten Leopold als neuer Hofkapellmeister engagiert worden war, scheint er mit stolz geschwellter Brust beim Weimarer Herzog um seine Entlassung gebeten zu haben. Hatte er sich dabei im Ton vergriffen? Oder war er sich seiner Sache zu sicher gewesen. Wir wissen es nicht. Sicher ist nur, dass der Herzog not amused war und Bach am 6. November – wie es in den Akten heißt – »wegen seiner halsstarrigen Bezeügung und zu erzwingender dimission« für ganze vier Wochen in der Landrichterstube unter Arrest setzen ließ (Nr. 4 der Luther-Kantate spielt darauf an).
Am 2. Dezember wurde er dann »mit angezeigter Ungnade« aus Weimarer Diensten ent- lassen und musste in Windeseile aus der Stadt ver- schwinden. Es ist gut möglich, daß die Formulie- rung »halsstarrig Bezeügung« auf eine Art Arbeits- verweigerung anspielt, die Bach an den Tag legte, nachdem der Herzog ihm deutlich gemacht hatte, wer die Spielregeln an seinem Hof bestimmt. Sollte Bachs Frust so stark gewesen sein, dass er deshalb Ende Oktober sogar die Mitarbeit an der musika- lischen Vorbereitung der Reformationsfeier »hals- starrig« verweigert hatte, und wanderte er deshalb in den Bau?

Die Wartburg bei Eisenach
Kantaten auf den Jahrestag des Thesenanschlags hat Bach dennoch komponiert – allerdings erst als Leipziger Thomaskantor und gewissermaßen mit leicht angezogener Handbremse. Die Erklärung für Letzteres liefern die Zeitumstände: Seit der sächsische Kurfürst August der Starke 1697 konvertiert war – die Bedingung, um die Krone in Polen zu erlangen – wurde das Stammland der Reformation von einem Katholiken regiert. Die Sachsen arrangierten sich mit diesem paradoxen Zustand. Es galt ein Nicht- angriffspakt zwischen katholischem Regenten und protestantischem Volk. Die landesherrlichen Behörden ermahnten die Geistlichen regelmäßig (und mit mäßigem Erfolg), in ihren Predigten jeg- lichen »Schimpf und Spott wider die Katholischen« zu vermeiden. Im Gegenzug wurde am Luthertum als inoffizielle Staatsreligion nicht gerührt und durfte das jährliche Reformationsfest weiterhin gefeiert werden – allerdings mit gebotener Zurückhaltung, das hieß musikalisch: ohne Pauken und Trompeten!
Wie die Weimarer Festmusik auf die 200-Jahr-Feier der Reformation ausgesehen hätte, wäre Bach doch als Komponist von Salomo Francks Versen aktiv geworden, ist schwer zu sagen. Dessen Kantaten- text besteht aus freigedichteten Chören in Da-capo- Form, einem Diktum aus Johannes 27, Vers 17 (»Heiliger Vater! Heilige sie in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit.«) und drei Arien; er enthält, typisch für Franck, keine Rezitative. Merkwürdigerweise nimmt der Text nur indirekt auf Luther Bezug: Vor dem Schlusschor erklingt die zweite Strophe von Luthers Choral ›Komm, heiliger Geist, Herre Gott‹.
Insofern hätte Bach – wie Rudolf Lutz – gute Gründe gehabt, zumindest instrumental den einen oder anderen Luther-Choral in die Arien hineinzuweben; vielleicht sogar ebenfalls das berühmte »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort«.
Luther jedenfalls wäre sowohl von einer Bachschen Reformationskantate als auch von unserer heutigen Luther-Kantate aus musikalischer Exegese von Bibelworten und Choralzitaten begeistert gewesen. Schon 1524 hatte er in der Vorrede von Johann Walters ›Geistlichem Gesangbüchlein‹ angeregt, er wolle »alle Künste, sonderlich die Musica, gern sehen im Dienst dessen, der sie geben und geschaffen hat. « Ja, »Gottes Wort«, so der Reformator, »will gepredigt und gesungen sein« (Fastenpostille 1525). Denn: »Wer singt, betet doppelt!«
Text: Michael Maul, Bach-Archiv Leipzig
Luther-Kantate „Erhalt uns, Herr, bei Deinem Wort“ (Uraufführung, Auftragswerk von Deutschlandfunk Kultur) Libretto: Carl Graf und Rudolf Lutz
Sätze:
1. Sinfonia
2. Rezitativ (Bass): Im Jahr siebzehnsiebzehn
3. Arie (Tenor): Plant ein Fest
4. Rezitativ (Bass): Der Vorschlag kam
5. Choral: Ach Gott vom Himmel
6. Rezitativ (Sopran, Alt, Tenor, Bass):Die Noth war gross
7. Ouvertüre, Chaconne, Choral: Vater unser im Himmelreich
8. Choral (alle!):Geheiligt werd’ der Name dein
9. Rezitativ (Alt) : Mit Buße
10. Arioso (Sopran):Sie allein lehrt rechten Glauben
11. Rezitativ (Tenor): Zum arg missbrauchten Ablasswesen
12. Choralmotette: Bei dir gilt nichts
13. Arioso (Bass): Wohlan, mein Gott
14. Rezitativ (Sopran): Nun will ich einem solchen Vater
15. Chorfuga: Ein Christenmensch ist ein freier Herr
16. Choral und Tropierungen: Erhalt uns, Herr, bei Deinem Wort
17. Beschluss: Mit unsrer Macht ist nichts getan
Aufführende:
Miriam Feuersinger Sopran • Markus Forster Altus (Countertenor)
Daniel Johannsen Tenor • Matthias Helm Bass
Plamena Nikitassova Violine • Andreas Helm Oboe d’amore
Orchester der J. S. Bach-Stiftung St. Gallen
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Ich wünsche viel Freude mit der wunderbaren Luther-Kantate!
Herzliche Grüße
Volker
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Danke Volker,
ich habe das Video genießen können und finde die Sinfonia von Rudolf Lutz sehr gut gelungen.
Die weiteren Arien und Choräle sind anhörbar. Sicherlich hätte J.S. Bach seine eigenständige Komposition aus diesem Anlass grandioser gestaltet. Der Ehrgeiz von Rudolf Lutz ist lobenswert und hat uns diese gute Eigenkomposition präsentiert, an der wir uns erfreuen können.
Gruß
kwest
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Zitat aus Ihrer Zuschrift: „Die weiteren Arien und Choräle sind anhörbar.“ Dazu meine ich: Sie haben zu früh weggezappt. Allein die Nr. 13 ist ein herrlicher „Ohrwurm“. Das hätte Ihnen auffallen können.
Die ganze Kantate ist ein großartiger Wurf, der sich vor Bach nicht zu verstecken braucht.
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Die Kantate ist ein großer Wurf. Rudolf Lutz hat nicht seinen „Ehrgeiz“ verwirklicht, sondern im Auftrag des Deutschlandfunks ein Kunstwerk von bleibendem Rang geschaffen. Die Kantate ist eigenständig und sollte nicht mit Bach verglichen werden, auch wenn sie viele Wesenszüge des Komponisten reflektiert.
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Genau, das Werk reflektiert Wesenszüge des Bach’schen Werkes (und zitiert es). Eine kunstvolle und geistreiche Hommage an Luther, Bach und alle Freunde Alter Musik. Hoffentlich erscheint sie bald im Druck, denn sie sollte noch oft erklingen und könnte als gewichtiger Bestandteil zuweilen sehr gravitätische Konzertprogramme bereichern.
Ich habe anlässlich der Uraufführung am 6. Mai, der ich beiwohnen durfte, einen kleinen Beitrag dazu in Zeitzeichen verfasst (www.zeitzeichen.net):
Was gewesen wäre, wenn …
Die famose „Luther-Kantate“ von Rudolf Lutz
Im Anlauf zum Reformationsjubiläum haben auch die Centenarfeiern aus der
Vergangenheit der „Mutter aller Jubiläen“ (Dorothea Wendebourg) reichlich Erwähnung gefunden, besonders diesebeiden: Anno 1617, der erste Hunderter, das war die antikatholische Feier am Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs, klar. Und Anno 1917 feierte man die 400-Jahrfeier im Ersten Weltkrieg als „Materialschlacht an der Heimatfront“ – wie furchtbar!
Was war noch? Anno 1817, zum Dreihundertsten, hatte die Aufklärung das Bild gegenüber den konfessionalistischen Anfängen sehr geweitet. Der gefeierte Luther galt nun als „Schlüsselgestalt
der Weltgeschichte“, es wurde gesungen: „Dein Licht ging auf, und aus dem Staube hub die zertret’ne Menschheit sich“, und erstmals 1817 trafen sich Studenten auf der Wartburg – damals noch, um gegen den reaktionären Geist der nachnapoleonischen Ära zu protestieren und nicht –
wie heute – denselben zu repristinieren.
Aber was war eigentlich Anno 1717? Von der Zweihundertjahrfeier der Reformation war bisher kaum die Rede. Zwar ist bekannt, dass auch dies Jubiläum mancherorts als „Jahr 200 nach Offenbarwerden des Antichristen“, gemeint war der Papst, begangen wurde, aber es scheint
kein Ereignis aus dem Umkreis dieses Jubiläums zu geben, das sich in unsere Zeiten
transportiert hätte. Oder doch? Was wäre denn gewesen, wenn Bach, im Jahre 1717 im Alter von 32 Jahren, eine Kantate zum 200-jährigen Reformationsjubiläum
geschrieben hätte?
Fein wäre das gewesen und warum nicht, sagte sich Rudolf Lutz, genialer Dirigent und Improvisator, der seit über zehn Jahren die Bach-Gesamtaufnahme der Bachstiftung St. Gallen leitet und via Internet (www.bachstiftung.ch) allmonatlich eine Bachkantate in höchster Qualität in alle Welt sendet. Und so schrieb Lutz, der sich selbst als „in Bach mariniert“ bezeichnet,
flugs eine Kantate, deren Text folgende Situation imaginiert: Salomon Franck
(1659–1725), Librettist vieler Bachkantaten, zum Beispiel von „Komm, du süße
Todesstunde“ (BWV161), bekommt den fürstlichen Auftrag, für Weimar eine Jubiläumskantate
zu schreiben, und Bach, der gerade, wie historisch verbürgt, daselbst wegen „Halsstarrigkeit“ im Gefängnis sitzt, soll sie komponieren.
Gesagt, getan. Im Auftrag von Deutschlandfunk Kultur schrieb Lutz auf einen charmanten und
galanten Text seines Pfarrer und St. Gallener Bach-Mitstreiters Karl Graf Musik, die sich zwar äußerlich als Stilkopie gibt, aber die für den, der Ohren hat zu hören, reichlich Individuelles à la Lutz beigibt, sowie überaus kunstvoll Themen Bachs und weitere Reminiszenzen an den großen
Thomaskantor einflicht. Und das alles in exakt der Besetzung der wunderbaren realen Bachkantate zum Reformationstag 1725 „Gott der Herr ist Sonn und Schild“ (BWV 79) – also mit vier Singstimmen, zwei Hörnern, Oboen und Streichern.
So war es eine wahre Lust, dieses teils virtuos-heitere, aber zugleich auch immer wieder wehmütig-tiefsinnige Werk zu erleben, zumal viel paraphrasierte und „echte“ Lutherchoräle und -texte zu hören sind, so eine rasante Chorfuga über Luthers berühmten Doppelsatz „Ein Christenmensch ist eine freier Herr/ dienstbarer Knecht“ aus der „Freiheit eines Christenmenschen.“ Das Thema derselben enthält übrigens eine augenzwinkernden
Reminiszenz an den Schlager „Am Anfang war das Wort“ aus Dieter Falks Luther-Poporatorium Famos! Am Ende der Uraufführung im Saal auf der Wartburg zu Recht tosender Applaus: Bravo Ruedi Lutz, bravo Karl Graf!
(aus Zeitzeichen – Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, Ausgabe 6/2017)
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Es gab nicht nur den höchst verdienten „tosenden Applaus“ auf der Wartburg, die begeisterten Leute im Saal haben sich dabei auch von ihren Plätzen erhoben.
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Danke André Sicht,
für deinen Kommentar der unsere Begeisterung für diese Luther-Kantate als Eigenkomposition von Rudolf Lutz, wieder belebt. Es ist eine Luther – Kantate die allwegs Begeisterung hervorgerufen hat. Somit hat das Lutherjahr 2017 eine großartige Kantate der Neuzeit bekommen, ganz im Sinne von J. S. Bach.
Soli Deo Gloria
Karin
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Danke Reinhard Mawick,
für deinen sehr ausführlichen und inhaltsreichen Kommentar zur Eigenkomposition von Rudolf Lutz. Ich persönlich bewundere die hervorragende Leistung von Rudolf Lutz, eine Kantate im Sinne von J.S. Bach zu komponieren. Seine Ansbach-Kantate, zum Bachfest in Ansbach aufgeführt, hat mich schon sehr berührt. Die Wein-Kantate ist ebenfalls sehr gelungen und beweist, wie tief Rudolf Lutz die Werke von J.S. Bach verinnerlicht hat. Seine Schaffenskraft ist vielseitig und bewundernswert.
Wer einmal in Trogen seinen Workshop einer Bach-Kantate miterlebt hat, wird von seinem großen Enthusiasmus eingenommen und erfährt viele neue Einzelheiten über Bach und seiner Entstehungsgeschichte seiner Komposition. Das Duo Graf-Lutz ergänzt sich in diesen Workshop als ideale Partner. Beide haben an der Luther-Kantate mitgewirkt und das Ergebnis ist als überragend anzusehen. Ich wünsche sehr, dass diese Luther-Kantate in Zukunft öfters in Konzerten zur Aufführung gebracht werden sollte. Sie besitzt alle wesentlichen Merkmale einer Bach-Kantate und sollte uns und der Nachwelt erhalten bleiben.
Herzliche Grüße und wünsche ein schönes Pfingstfest!
Volker
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