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Johannes-Passion in der Schwabenmetropole Stuttgart 22.04.11


Liederhalle in Stuttgart

JOHANN SEBASTIAN BACH – Johannes-Passion BWV 245

Ditte Andersen-Sopran

Annelie Sophie Müller-Alt

Daniel Johannsen-Tenor/Evangelist

Motti Kastón-Bariton Pilatus

Georg Gädker-Bass / Arien

Wolfgang Schöne-Bass / Jesus

Philharmonia Chor Stuttgart und Orchester SINFONIA 02 – musikalische Leitung Johannes Knecht

So isch´s Lähbe, Karfreitag bin ich diesmal in Stuttgart zur Johannes-Passion, die in der Liederhalle im Zentrum stattfindet. Die Johannes-Passion wurde am 07. April 1724 in der Nicolaikirche unter Leitung des Komponisten uraufgeführt und Bach hat sich mit ihr Zeit seines Lebens immer wieder musikalisch auseinander gesetzt, so hat er für jede der 4 Aufführungen während seines Thomaskantorats eine neue Fassung bereitgestellt. Ob dies aus einem äußeren Zwang oder aus eigenem Anliegen geschah, kann sicher nicht mit Gewissheit geklärt werden. Das Libretto stammte bei dieser Passion aus verschiedenen Quellen, so auch aus dem Passionsoratorium „Der für die Sünde der Welt Gemarterte und Sterbende Jesus“ von Barthold Hinrich Brockes, die sich auch in einer Händel´schen und Telemann´schen Vertonung finden.

Schade, dass auch die heutige Passions-Aufführung recht schlecht besucht ist, einziger Pluspunkt daran, ich schleiche mit meinen Freunden von Reihe 18 in die zweite Reihe.

Liederhalle Stuttgart / Perspektive vom Berliner Platz

Man ist ja verwöhnt, die historische Aufführungspraxis würde ich heute schon als Standard bezeichnen. Als der Chor mit ca. 60 Ausführenden und ein „normales“ Orchester das Podest betritt, habe ich doch einige Vorbehalte. Zu intensiv sind die Erinnerungen an „um-die Wette-brüll-Aufführungen“ und solche, wo das filigrane Tongepflecht von Orchester und Chor im Brei versinkt. Alles ist völlig unbegründet.

Beim ersten Chor „Herr, unser Herrscher“ tritt der Chor souverän und diszipliniert auf, trotz der großen Menge der Sänger bleibt alles transparent und bremst nicht. Mit diesem Chor assoziiere ich immer ein planetarisches oder kosmisches Chaos das mit den „Herr, Herr“ Einwürfen ein neues Gravitationsfeld bekommt und dadurch seine Melodik zurück erlangt, somit sieht er das österliche Wunder schon voraus.

Auch der Evangelist Daniel Johannsen ist ein solches Wunder, nicht nur, dass er den Evangelisten aus seiner piefigen Erzählerrolle befreit, man wird Zeuge dieser Verhandlung in tiefer Anteilnahme. Er holt aus dem Text alles raus, selbst Stellen, die mich sonst kalt gelassen haben, lassen mich erschaudern. Die tiefgründigste Stelle, Petrus´Verrat gestaltet er so nuancenreich und in so wechselnden Farben, dass ich jedem Einsatz des Evangelisten entgegenfiebere.

Inneres des Beethovensaals

Die Johannespassion ist ein kühnes, energiegeladenes, vielleicht auch wütendes Werk, das sich von der Matthäus-Passion unterscheidet. Die Turbaechöre peitschen immer wieder, besonders im zweiten Teil, die Handlung voran und lassen deutlich, die Aggressionen einer aufgebrachten Menge spüren, die damals wie heute  vieles zur Eskalation bringen (aktuell: S21). Sie ist extrovertierter und frecher. Jesus wird hier nicht als leidendes, geopfertes Lämmchen dargestellt, sondern tritt mit großem Selbstbewußtsein, ja schon fast Arroganz, vor die Opportunisten, Denunzianten, Verräter und Gegner („Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von oben herab gegeben“). Niemals stirbt er erhabener in Schönheit als in der Johannespassion.

Solisten, Orchester und Chor

Etwas enttäuscht bin ich von den Chorälen, die teilweise etwas ungestaltet und undifferenziert abgesungen werden. Gerade in der Johannes-Passion sind ja solche Perlen dabei, die (für meine Begriffe) ruhig ein wenig schmelzig herübergebracht werden dürfen (Ach, großer König), bilden sie doch im Zusammenhang mit Rezitativ und Arie eine stabile Dreierfigur für eine bestimmte Szene, die auch der Choral mitgestaltet.

Die Solisten beneide ich nicht, die Arien in der J-Passion sind teilweise nicht sehr eingängig und in der Manier des großen Meisters stets mit Schwierigkeiten gespickt. Ditte Andersen (Sopran) weiss durch eine solide Gesangstechnik und brilliante, glockenreine Töne zu überzeugen, Annelie-Sophie Müller (Alt) bringt durch ihre warme Stimme das nötige Ruhepotenzial als Kontrapunkt zu Tenor und Baß, wenngleich ich das Gefühl nicht loswerde, dass sie sich in diesem Genre nicht so ganz zuhause fühlt.

Solisten, Orchester und Chor II

Angekommen  im letzten Chor „Ruhet wohl“ nehmen wir Abschied. Alles liegt nah beieinander, der Tod, das Leben, Liebe und Hass, Winter und Frühling, der Karfreitag und die Auferstehung. Es geht weiter, wir müssen nur in eine andere Richtung schauen.

Frohe Ostern gehabt zu haben.

Claudia