Schlagwort-Archive: BWV 96; BWV 169

Neue Reihe: Bach-Kantaten zum Sonntag im Kirchenjahr mit Hörbeispielen und Kantatenbeschreibung für den 18. Sonntag nach „Trinitatis“


Thomaskirche Leipzig Blick auf den Altar

Liebe Bach-Freunde/innen !

Nach den Veröffentlichungen einer Übersicht der BWV für Bach-Kantaten:

Link: BWV als PDF-Download im Blog 

stelle ich für jeden Sonntag im Kirchenjahr den Besuchern von

„Volkers Klassikseiten J.S. Bach“

eine Hör- oder Sehprobe und eine „Bach-Kantaten-Beschreibung“ für den entsprechenden Sonntag im Kirchenjahr zur Verfügung.

Gezielt möchte ich auf Gardiners Konzert vom 22. Oktober 2000 in der Thomaskirche Leipzig hinweisen, die er so eindrücklich und emotional in seinem Reisetagebuch von der Bach-Cantata-Pilgrimage 2000 – für die Bach-Kirche beschrieben hat. Einen Auszug davon gibt es in diesem Beitrag als Kantaten-Beschreibung für das BWV 116 und BWV 668..!!

Am 23.10.2011 begehen wir den 18. Sonntag nach „Trinitatis“

Der 18. Sonntag nach Trinitatis ist bestimmt vom Evangelium über das „höchste Gebot“, das sowohl von der Gottesliebe als auch der Nächstenliebe redet. Dies gibt uns erneut Gelegenheit, über das Verhältnis der Christen zum jüdischen Volk nachzudenken, denn dieses höchste Gebot stammt in seiner zweifachen Ausrichtung vollständig aus der jüdischen Tradition. Allerdings haben die anderen Texte nicht immer das „höchste Gebot“ im Sinn, sondern reden auch von der Nachfolge im Allgemeinen. Der alttestamentliche Text ist die Perikope mit den „10 Geboten“. Am 18. Sonntag nach Trinitatis hören wir die Antwort Jesu auf die Frage, was das höchste Gebot sei, als das Gebot, nach dem wir unser Leben ausrichten sollen. Es ist nicht leicht, diesem Gebot in jeder Situation zu folgen, und wir erfahren oft, dass wir an Gott und unserem Nächsten schuldig werden. Um so wichtiger ist für uns, dass einer dieses Gebot vollständig erfüllt hat: Jesus Christus.

(Textauszüge: ©  Martin Senftleben)

——————————————————————————————————————-

Bach-Kantaten für den 18. Sonntag nach Trinitatis

BWV    96  –  „Herr Christ, der einge Gottessohn

BWV   169  –  „Gott soll allein mein Herze haben“

—————————————————————————————————————–

„Bach-Kantate“ WDR3 – Geistliche Musik

Sonntag, 23.10.2011 von 09:05  – 10:00 Uhr

Livestream-Link: 

http://www.wdr.de/wdrlive/wdrplayer/wdr3player.html

Allgemein Link: 

http://www.wdr.de/radio/wdr3/

Programm: Link: 

http://www.wdr.de/programmvorschau/programDateDateSender.jsp?programmeId=3;dayOffset=0

—————————————————————–

WDR3 – „Geistliche Musik“ – Programmauszug:

 Johann Sebastian Bach

BWV 96 „Herr Christ, der einge Gottessohn“  Kantate am 18. Sonntag nach Trinitatis

für Soli, Chor, Bläser, Streicher und Basso continuo;

Katharine Fuge, Sopran; Nathalie Stutzmann, Alt; Christoph Genz, Tenor;

Gotthold Schwarz, Bass; Monteverdi Choir; English Baroque Soloists,

Leitung: John Eliot Gardiner

—————————————————————————————————————–

/ YouTube: BWV 116 – 

 Du Friedefürst, Herr Jesu Christ“ –  (Interpret: Harnoncourt)


—————————————————————————————————————

Kantaten-Beschreibung zum BWV 116

Kantaten für den 18. Sonntag nach Trinitatis –

Aufführungsort: Thomaskirche Leipzig am 22.10.2000

Zu Bachs Zeit bestimmte der lutherische Kirchenkalender mit den beiden großen Festen Ostern (beweglich) und Weihnachten (unbeweglich) über Anlage und Inhalt der Kantatensammlungen. Die Trinitatiszeit musste deutlich vier Wochen vor Weihnachten enden, so dass in einem Jahr wie 1724, als Ostern spät fiel, von den siebenundzwanzig möglichen Sonntagen nach Trinitatis vor Beginn des Tempus clausum, der ‚geschlossenen Zeit’ zwischen dem ersten Adventssonntag und Heiligabend, in der keine Kantaten oder Konzerte aufgeführt werden durften, nur fünfundzwanzig Sonntage übrig blieben.

Das bedeutete 2000, dass wir die Kantaten, die von Bach für das Ende der Trinitatiszeit erhalten sind, irgendwo in unseren früheren Programmen unterbringen mussten. So ergab sich bei unserem Konzert in Leipzig die Möglichkeit, die herrliche Choralkantate BWV 116 „Du Friedefürst, Herr Jesu Christ“ einzufügen, die am 26. November 1724 als letzte Kantate der Trinitatiszeit in Bachs zweitem Jahrgang aufgeführt worden war. Themen der lutherischen Theologie sind an diesem Ende des liturgischen Jahres häufig das Jüngste Gericht, die Wiederkunft des Herrn oder der im Evangelium verkündete ‚Greuel der Verwüstung‘. Obwohl sich der Text des siebenstrophigen Chorals von Jakob Ebert (1601), der für die beiden Ecksätze wörtlich übernommen, in den Innensätzen jedoch paraphrasiert wurde, auf die Übertretung der Gebote durch die Menschen konzentriert und ‚ein erschreckt geplagtes Land’ benennt, ist im Kopfsatz von Jesus als ‚Friedefürst’ die Rede, der im Leben und im Tod ‚ein starker Nothelfer’ sei.

Das steht im Einklang mit der liturgischen Zweckbestimmung, die in Gesangbüchern dieser Zeit über der Melodie erscheint: ‚in allgemeiner Not’, oder um speziell ‚zur Zeit des Krieges um Frieden zu bitten’). Das Orchesterritornell für Streicher mit zwei Oboen d’amore wirkt dabei wie ein umgearbeiteter Konzertsatz in A-dur: merkwürdig positiv, sicher und lebendig, ein Eindruck, den die gegen unabhängiges instrumentales Material gesetzten Blockharmonien der ersten Choralzeilen bestätigen. Erst in der vorletzten Zeile des Abgesangs (dem B-Teil der Barform A-A-B) erfolgt ein Hinweis auf das Jüngste Gericht in der Weise, wie die drei tiefen Stimmen auf den Cantus firmus (Sopran und Cornetto) reagieren – mit einem nervösen, zerrissenen, homophonen Kommentar in imitierender Komplizenschaft mit den instrumentalen Linien.

Das Grauen, das die verängstigte, vor das Gericht beorderte Seele erlebt, kommt deutlicher in der Alt-Arie mit ihrem verschlungenen Obligato für Oboe oboe d’amore zum Ausdruck (Nr. 2). Singstimme und Oboe verschachteln sich wie in einem richtigen Duett, wobei der zugrunde liegende ausdrucksstarke Text in der Oboenlinie ständig mitschwingt – eine schlagfertige Antwort auf Beaumarchais’ Ausspruch, was nicht wert sei, gesagt zu werden, werde gesungen. Manch einer, freilich unter Leuten, die mit Bachs Cembalowerken vertrauter sind als mit seinen Kantaten und die Bach in der formalen Disziplin seiner Kompositionen einer nüchternen Vornehmheit bezichtigen (oder ihn dafür rühmen), dürfte von der Intensität dieses erschütternden Angstschreis überwältigt sein. Er ist in der Weise, wie er den chromatischen Tonbereich der neu erfundenen Oboe d’amore und ihre extreme Chromatik ausnutzt, wie er ungemein instabile tonale Zentren wie gis-moll auslotet, so dass man sich fortwährend fragt, wohin die Modulation steuert, ganz und gar seiner Zeit verhaftet, greift jedoch auch auf jene frei experimentierenden Möglichkeiten des Ausdrucks zurück, die Bachs älterer Cousin Johann Christoph erkundet hatte.

Eine Erinnerung an die grundlegende Bedeutung dieses Chorals von Jakob Ebert begegnet in der Continuoeinleitung zum Tenor- Rezitativ (Nr. 3), wo Jesus als ‚Fürst des Friedens’ angerufen wird. Statt in einer zweiten Arie vertont Bach in Nr. 4 das Bekenntnis menschlicher Schuld als ein Terzett (in seinen Kantaten relativ selten), das vom Continuo gestützt wird, so wie er es vier Wochen zuvor in BWV 38 Aus tiefer Not getan hatte. In beiden Terzetten scheint er sich absichtlich vertrackte kompositorische Aufgaben gestellt zu haben – in dem früheren Terzett musste zwischen ‚Trübsal’ und ‚Trost’ eine wechselseitige und völlig aussichtslos scheinende Beziehung geschaffen werden, und hier geht es darum, das thematische Potenzial des Motivs aus dem Eingangsritornell zutage zu fördern und dessen modulatorische Permutationen in einem Zirkel fallender Quinten zu erforschen, die den Hörer durch ein weiträumiges unterirdisches Tunnelsystem führen, bei dem ständig unklar bleibt, wo sich der Ausgang befindet.

Nachdem er eine gewisse Normalität einkehren lässt, indem er den B-Teil in der verwandten Molltonart (cis) beschließt, lässt er uns ein Dacapo des A-Teils in abgewandelter Form erwarten, bringt es dann jedoch unverändert und führt uns zum Ausgangspunkt zurück, der Grundtonart E-dur. Ein Schlüssel zur Lösung dieser Verwicklungen und ausgeprägten auf- und absteigenden Muster, die Eric Chafe ‚klangliche Allegorie’ nennt, ist vielleicht in den Worten des Mittelteils zu finden, ‚Es brach ja dein erbarmend Herz, als der Gefallnen Schmerz dich zu uns in die Welt getrieben’, die Bach mit ungewöhnlichem Pathos vertont. Im vorletzten Satz erscheint wieder das Streicherensemble, und die Bitte der Altstimme um Frieden, jetzt mit einem Hoffnungsschimmer, führt uns zurück in die heitere Ruhe von A-dur und in ein gemeinschaftliches Gebet um die Erleuchtung von ‚Sinn und Herz’.

Es erschien uns angebracht, unser Konzert im Chorraum dieser berühmten Kirche zu beenden, dort, wo Bach in den letzten siebenundzwanzig Jahren seines Lebens gewirkt, frohlockt und gelitten hat, und uns in Hufeisenform um seine letzte Ruhestätte aufzustellen, zu beiden Seiten die Porträts von Theologen mit ihren langen Talaren und spitzenbesetzten Beffchen, darunter vielleicht seine einstigen klerikalen Peiniger. Von dort aus sangen wir den vierstimmigen ‚Sterbebettchoral’ BWV 668, den die Legende voller Ehrfurcht als sein letztes Werk identifiziert und den ‚der selige Mann’, wie Marpurg in der postumen Erstausgabe der Kunst der Fuge (1752) anmerkt, ‚in seiner Blindheit einem seiner Freunde aus dem Stegreif in die Feder dictiret hat’.

Diese ergreifende Geschichte gerät durch die Existenz mindestens zweier früherer Fassungen eines Choralpräludiums (BWV 641 und BWV 668a) ins Wanken. Beweise dafür, dass sich Bach während seiner Krankheit vor dem Tod mit unvollendeten Werken beschäftigte, sind vorhanden, so dass es durchaus möglich ist, dass er zumindest die imitierenden Passagen in den dreistimmigen (in BWV 641 nicht vorhandenen) Abschnitten, die partielle Entfernung der filigranen Ornamentierungen in der Diskantlinie und einige kleinere Verbesserungen in der vorzüglichen abschließenden Coda ‚dictiret’ hat. Wie auch immer die Fakten liegen mögen, nichts behindert die herzzerreißende Schönheit dieses zweistrophigen Gesangs, dessen ursprünglicher Wortlaut ‚Wenn wir in höchsten Nöten sein’ durch den besser geeigneten Text ‚Vor deinen Thron tret ich hiermit’ ersetzt wurde, der ebenfalls nach dieser Melodie gesungen wurde. Es klingt überzeugend: Dieser Mann, der während seines gesamten Schaffens nach musikalischer Perfektion gestrebt hatte, korrigiert und ändert hier in den letzten Augenblicken, die er in seinem Leben bewusst erlebt und in denen er sich auf seinen eigenen, auf lutherische Weise ‚guten’ Tod vorbereitet. Dieses Werk ist die Quintessenz jener ‚überirdischen Heiterkeit’, die Edward Said das Kennzeichen späten Stils und letzter Werke nannte.

Während die Klänge der abschließenden Kadenz noch in der Luft schwebten, herrschte absolute Stille: kein Applaus, kein versessenes Streben nach dem Ausgang, einfach nur Stille. Es war, als hätte das Publikum stillschweigend begriffen, dass dies unsere gemeinschaftliche Huldigung an das Genie war, dessen Musik als Morgenstern unsere Schritte auf unserer Pilgerreise über einen Gutteil des Jahres gelenkt hatte. Dann begann schließlich der Beifall, und Leute kamen nach vorn, um uns zu danken, sichtlich bewegt und nicht willens, diesen Ort zu verlassen. Man hatte tatsächlich den Eindruck, als seien während des Konzertes die bösen Geister in die Flucht geschlagen worden, als hätte Luthers ‚alter böser Feind’ einen heftigen Rippenstoß erhalten und sei mit eingekniffenem Schwanz fortgerannt. 

Wie© John Eliot Gardiner 2009

Aus einem während der Bach Cantata Pilgrimage geschriebenen Tagebuch

Übersetzung: Gudrun Meier

——————————————————————————————————————-

Der vollständige Text vom BWV 668

Vor deinen Thron tret ich hiermit O Gott, und dich demütig bitt wend dein gnädig Angesicht von mir, dem armen Sünder, nicht.                                                                                      

Ein selig End mir bescher, am jüngsten Tag erwecke mich, Herr, dass ich dich schau ewiglich: Amen, amen, erhöre mich.

——————————————————————————————————————-

  Sir Gardiners Kantaten-Beschreibungen für den 17. und 18. Sonntag nach Trinitatis:

               Link:     h i e r  zum Download als PDF  Gardiner    

  Künstler-Beitrag –  Link:   Künstlerbeitrag Katharine Fuge, Sopran 

——————————————————————————————————————-

/ YouTube: BWV  96 –

  „Herr Christ, der einge Gottessohn  (Interpret: Leonhardt)

 

—————————————————————————————————————–

/ YouTube: BWV  169 – 

Gott soll allein mein Herze haben“  (Interpretin: Nathalie Stutzmann)

—————————————————————————————————————-

/ YouTube: BWV  668 – 

„Choral: Vor deinen Thron tret ich hiermit“ (Interpret: Gardiner)

—————————————————————————————————————

CD für den 18. Sonntag nach „Trinitatis“ 
.
.
.
.………………………………………………………………………………………………
……———————————————————————————-
Cover: CD’s SDG 159 Vol. 9 CD-2  ———————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————-
……
 BWV 96 – Herr Christ, der einge Gottessohn

 BWV 116 – Du Friedefürst, Herr Jesu Christ

BWV 169 – Gott soll allein mein Herze haben

BWV 668 – Choral: Vor deinen Thron tret ich hiermit

——————————————————————————————————————

Ich wünsche allen Besuchern eine schönen und sonnigen Trinitatis-Sonntag.

—————————————————————————————————————–

Grüße

Volker

//